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Agnes hat einen Job auf dem Weihnachtsmarkt in der Kulturbrauerei. Eine Bude mit beleuchteten Salzsteinen, Duftlampen und lustigen Tibet-Käppis.
Die Mützen laufen bereits zu Hauf herum und die Nachfrage ist im Vergleich zu den Vorjahren stark eingebrochen. Die Kinder, die den tibetanisch bemützten Müttern folgen, wirken schwer gestört, weisen eine Form von Apathie und Hospitalismus auf, die nur von gelegentlich überakzentuierten Willensäußerungen unterbrochen werden. Ihre Eltern verstehen diese wohl als selbstbestimmte Laute. Auf einer Bühne hat sich eine britische Bläsergruppe aufgebaut, die jetzt mit dem Selbstverständnis nordenglischer Kohlekumpels über „Vom Himmel hoch, da komm ich her„ dahinbläst. Das Publikum, protestantische Posaunen gewohnt, ist Laufkundschaft. Selbst ein freundliches Vorbeischlendern gelingt ihm nicht. Zu angestrengt ist die vorweihnachtliche Verdutztheit.

Nach dem zweiten Glühwein sind die Bläser bei „Herbei, oh Ihr Gläubigen„ angekommen. Der Junge am Tenorhorn sieht wirklich aus wie Ewan McGregor in „Brassed Off„ und ich beginne, Agnes halblaut die Karel-Gott-Version von „Adääste Fidääälis, lääti triumpahahantes, vähnite, vähnihihite ihin bähätlähäm!„ vorzusingen. Kundschaft, die ich hätte vertreiben können, zeigt sich ohnehin nicht. Spätestens bei „Nahatum vidäääte, rägem angelohorum„ kann Agnes hinter ihrer esoterischen Auslage ein Dauerkichern nicht mehr unterdrücken und beginnt, ihre Sachen zusammenzupacken. Die Kollegin muss jeden Moment kommen. Wir können weiter. Mir ist kalt um die Ohren, der Dezember gibt sich alle Mühe, und Agnes reicht mir eine der lustigen Tibet-Mützen unterm angedachten Ladentisch hindurch. Eine, mit einem noch viel lustigeren Bommel obendrauf, eine, die ich mir inzwischen völlig willenlos überstülpe. Mir wird warm.

Wir ziehen weiter, die Schönhauser runter, zum Alexanderplatz. Auch hier Weihnachtsmarkt, hier aber mit Steaks und Würsten. Der Hit ist noch immer die Ein-Meter-Bratwurst im Stangenbrot für zweieinhalb von diesen Euros. Wir treffen auf mindestens drei Väter, die ihren Kindern solche Querformate in die Finger drücken und zumindest im Dezember wissen, dass ihre Nachkommen einmal im Jahr stolz auf Papa sind.

Wir suchen einen Schießstand. Wir tun das öfter. Es muss August gewesen sein, Agnes und ich waren zur Hochzeit ihrer Schwester in Angermünde und wir hatten uns gegen Abend unauffällig auf die örtliche Kirchweih, oder wie das im Osten heißt, verzogen. Seither schießen wir begeistert.
Luftgewehr, Kleinkaliber gibt’s ja auf Volksfesten nicht. In Angermünde war das auch gut so. Nachdem Agnes so ziemlich alles an weißen Plastikrosen abgeräumt hatte, betraten die örtlichen Faschisten die Szenerie. Wir besannen uns wieder auf den Anlass unseres Ausflugs in die Provinz, kamen noch rechtzeitig zur Brautentführung und ich begrüße bis heute, dass es bei Volksfesten nur Luftgewehre gibt.

Auf dem Alexanderplatz sind zu Weihnachten aber auch die nicht aufzutreiben. Es gibt zwar Buden mit beleuchteten Salzsteinen, Duftlampen und Lederschmuck, auch hier ohne nennenswerte Kundschaft, aber keine Schießstände. Wir müssen Go-Cart fahren und Maronen schälen.
Den letzten Glühwein trinken wir mit Wolfgang Petrys „Der Himmel brennt, die Engel fliehn!„ im Hintergrund.

Als die U-Bahn aus dem Tunnel in den Nachthimmel fährt, sagt Agnes
leise: „Mehr von diesen Abenden!„
(...)
Copyright: Gregor Maier, » www.gregor-m.de